• 9th parliamentary term [14157], BISCHOFF, Gabriele (S&D, DE) [14500], Strasbourg [4228]
    Gabriele BISCHOFF in the EP in Strasbourg

Reform der EU

Gespräch mit Gaby Bischoff, Vizepräsidentin des konstitutionellen Ausschusses im Europäischen Parlament

Gaby Bischoff ist Co-Autorin des Berichts, den der konstitutionelle Ausschuss (AFCO) am 5. Oktober für eine Reform der Europäischen Union vorgelegt hat.

dbb europathemen: Der Verfassungsausschuss des Europäischen Parlaments fordert eine Reform der Europäischen Union. Warum braucht die EU eine Reform?

Bischoff: Die EU braucht eine Reform, damit sie endlich wieder handlungsfähiger wird. Seit der Gründung der Europäischen Union ist die Anzahl der Mitgliedstaaten stetig gewachsen. Mittlerweile hängen gemeinsame Positionierungen der EU von insgesamt 27 Mitgliedstaaten ab. In vielen Politikfeldern gilt weiterhin das Einstimmigkeitsprinzip und das ist nicht mehr zeitgemäß. Daher fordern wir als Europäisches Parlament, dass in Zukunft Entscheidungen in nahezu allen Politikfeldern mit qualifizierter Mehrheit angenommen werden. Wir möchten es nicht mehr ermöglichen, dass einzelne Mitgliedstaaten dringende Entscheidungen mit ihrem Veto blockieren können, um ausschließlich nationale Interessen durchzusetzen. 

dbb europathemen: Was sind die wichtigsten Vorschläge, die EU erweiterungsfähig und insgesamt handlungsfähiger zu machen?

Bischoff: Die Vorschläge an denen wir momentan arbeiten, lassen sich in zwei Kategorien aufteilen. Zum einen machen wir Vorschläge für eine neue institutionelle Architektur der EU und zum anderen machen wir Vorschläge für die Entwicklung einzelner Politikfelder. Wie bereits erwähnt, wäre der Übergang von Einstimmigkeitsentscheidungen zu Entscheidungen mit qualifizierter Mehrheit ein wichtiger Schritt, um die Handlungsfähigkeit der EU zu stärken. Darüber hinaus fordern wir mehr Kompetenzen für die EU zum Beispiel im Bereich Sozialpolitik, damit wir stärkere Weichen stellen können für die Armutsbekämpfung, qualitativ hochwertige Jobs und bezahlbarem Wohnraum. Wir fordern, dass die Europäische Säule Sozialer Rechte zur Leitlinie wird für die Beschäftigungs- und Sozialpolitik auf europäischer Ebene. Darüber hinaus sollte ein Protokoll zum sozialen Fortschritt (soziale Fortschrittsklausel) in die Verträge aufgenommen werden.  Daneben fordern wir eine neue ausschließliche Zuständigkeit für die europäische Ebene für die Bekämpfung des Klimawandels mit einem direktem Verweis auf die vereinbarten internationalen Standards. Als Europäisches Parlament möchten wir auch eine stärkere Rolle spielen als einzig direkt gewählte EU-Institution, insbesondere in Bezug auf das Initiativrecht, das Untersuchungsrecht, das Wahlrecht und den Antrag auf ein Misstrauensvotum gegen individuelle Kommissionsmitglieder.

dbb europathemen: Wie sehen Sie die Chancen, dass die Regierungen im Rat sich den Forderungen des Parlaments anschließen?

Bischoff: Der Rat war bislang kein Motor für institutionellen Fortschritt. Im Gegenteil, sei es während der Zukunftskonferenz oder in Reaktion auf unsere Resolutionen für einen Konvent, der Rat stand bislang zumeist auf der Bremse. Ich glaube trotzdem, dass es ein Momentum gibt für die Weiterentwicklung der EU. Vor über einem Jahr haben wir die Zukunftskonferenz abgeschlossenen. Neben den intensiven Beratungen im Europäischen Parlament, hat auch eine deutsch-französische Expertengruppe Empfehlungen für institutionelle Reformen entwickelt. Im Rat wird zudem diskutiert, inwiefern institutionelle Reformen, die die Handlungsfähigkeit stärken, die Unterstützung für zukünftige Erweiterungen erhöhen könnten.

Auch Kommissionspräsidentin von der Leyen zeigt sich offen gegenüber der Möglichkeit eines Konvents und Vertragsänderungen, wie zuletzt in ihrer Rede zur Lage der Union. Daher hoffe ich, dass wir gemeinsam mit der EU-Kommission am gleichen Strang ziehen und den Rat davon überzeugen können, dass die Zeit für einen weiteren Entwicklungsschritt in der Geschichte der Europäischen Union gekommen ist.

dbb europathemen: Viele Beobachter befürchten bei den Europawahlen große Zugewinne für populistische und extremistische Parteien. Kommen die Vorschläge nicht zur Unzeit?

Bischoff: Vertragsänderungen brauchen einen langen Atem. Wir werden es in dieser Legislaturperiode, voraussichtlich schon gegen Ende des Jahres, schaffen, unsere konkreten Vorschläge für Vertragsänderungen im Plenum des Europäischen Parlaments zu verabschieden. Allerdings sind wir dann auch schon am Ende der Legislaturperiode. Bis die neue EU-Kommission im Amt ist, werden einige Monate vergehen. Wir können diese wichtigen und notwendigen Reformen nicht abhängig machen von Wahlergebnissen, denn dafür steht zu viel auf dem Spiel: die Handlungsfähigkeit der EU, um auf aktuelle Herausforderungen unserer Zeit angemessen zu reagieren, damit wir weiterhin in einem Kontinent mit Wohlstand, Frieden und Fortschritt leben können. Deshalb können diese Reformvorschläge auch das Vertrauen in das Europäische Parlament stärken, weil es weiter ein wichtiger Motor für die Zukunft Europas bleibt. 

dbb europathemen: Was bedeutet eine handlungsfähigere EU für den öffentlichen Dienst und seine Beschäftigten in Deutschland?

Bischoff: Von einer handlungsfähigeren EU werden alle Bürgerinnen und Bürger in der EU profitieren. Stabilität und Wohlstand in Deutschland hängen entscheidend von einem funktionierenden Binnenmarkt, von der Freizügigkeit und von ausreichenden sozialen Investitionen zum Beispiel in Bildung und Gesundheit ab. Der öffentliche Dienst spielt außerdem eine zentrale Rolle für die Daseinsvorsorge. Wir wollen die nationalen Spielräume für gute öffentliche Dienstleistungen sichern und ausbauen. Die Kompetenzen im Gesundheitsbereich, beispielsweise zur Pandemiebekämpfung, erweiten wir. Kurzum: Ein handlungsfähiges Europa, genauso wie der handlungsfähige Staat stärken das Vertrauen in die Demokratie. 

 

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