Ideen für eine Reform des europäischen Strommarkts. Ein Gastbeitrag von Jan Dirx und Lutz Ribbe

Die Strombank

Eine grundlegende Reform des fragmentierten europäischen Strommarktes ist dringend und notwendig.

Dass dies dringend erforderlich ist, zeigte sich einmal mehr in dem Bericht „Integration des Elektrizitätsbinnenmarktes“, den der Europäische Rechnungshof kürzlich veröffentlicht hat. Die zentrale Schlussfolgerung dieses Berichts lässt sich wie folgt zusammenfassen: Aufgrund der unzureichenden Integration der Strommärkte in Europa werden die Risiken für den EU-Strommarkt hauptsächlich auf die Verbraucher abgewälzt.

Dies wurde und wird von europäischen Bürgern und Unternehmen durch den Krieg, den Russland in der Ukraine entfesselt hat, und seine Folgen für die Preise fossiler Brennstoffe, insbesondere Gas, und deren Auswirkungen auf die Strompreise, nachdrücklich erlebt. Diese aktuelle Energiekrise und die Krise der Lebenshaltungskosten, mit der die EU-Bürger derzeit konfrontiert sind, unterstreichen erneut die Dringlichkeit für die EU, einen Elektrizitätsbinnenmarkt zu schaffen.

Bei Entscheidungen zur Strommarktreform ist die Weiterentwicklung der Stromerzeugungsformen im Sinne des European Green Deal und des European Climate Law, die das EU-Ziel der Klimaneutralität bis 2050 umsetzen, zwingend zu berücksichtigen, gesetzlich verankert.

Das bedeutet, dass die neue Strommarktstruktur sich auf einem Markt basieren muss, in dem die Stromerzeugung hauptsächlich aus erneuerbaren Quellen mit niedrigen Grenzkosten erfolgen wird. Diese Stromerzeugung der Zukunft unterscheidet sich zentral vom jetzigen System der fossilen Energien. Sind heute große, zentrale Kraftwerke dominant, ist die zukünftige Erzeugung viel dezentraler. Und sie kann und wird - hoffentlich in großen Teilen – auch in den Händen von Bürgern, Erzeugergemeinschaften und kleineren Unternehmen liegen, die über Sonnenkollektoren und Windkraftanlagen verfügen. Dies wird nicht nur große Konsequenzen für das Stromnetz haben, sondern muss sich auch in der Organisation des Strommarktes widerspiegeln. Der Strommarkt besteht dann aus zwei Arten von Erzeugern. Zum einen weiterhin aus großen Erzeugern, die zum Beispiel Offshore-Windparks, große Solarparks oder Wasserstoffkraftwerke betreiben und ihren erzeugten Strom an den Markt liefern. Zweitens Kleinproduzenten wie Haushalte, Genossenschaften, Gemeinden und Unternehmen, die für den Eigenbedarf produzieren und ihren überschüssigen Strom ins Netz einspeisen.

Wie können wir es organisieren, damit kleine Erzeuger möglichst viel von ihrem selbst erzeugten Strom profitieren, auch wenn sie ihn ins Netz einspeisen? Derzeit ist es in der Regel so, dass Sie als Kleinerzeuger für den von Ihnen ins Netz eingespeisten Strom einen (deutlich) geringeren Preis erhalten, als Sie für den Strom, den Sie aus dem Netz beziehen, bezahlen müssen.

Die Frage ist folglich: Können wir eine Marktordnung errichten, in der der Kleinproduzent „das Recht“ auf seinen selbst produzierten Strom behält, auch wenn er bereits ins Netz eingespeist wurde? Nehmen wir das Beispiel einer Bank als Gedankenexperiment. Als Kunde einer Bank zahlen Sie Geld auf ein Konto bei dieser Bank ein. Dieses Geld können Sie dann fast überall auf der Welt mit Ihrer Bankkarte an einem Geldautomaten jederzeit abheben. In der Zwischenzeit verdient die Bank an Ihrem Geld, indem sie es wieder ausleiht und Ihnen einen Beitrag für die Dienstleistung, die die Bank Ihnen anbietet, in Rechnung stellt.

Warum sollte dies nicht auch beim Strom funktionieren? Also das Netz aus eine Art „Strombank“. Ein Rechenbeispiel. Sie haben Sonnenkollektoren auf Ihrem Dach und an sonnigen Tagen produzieren sie mehr, als Sie an diesem Tag verbrauchen. Diesen Stromüberschuss liefern Sie über das Netz an das Elektrizitätsunternehmen, mit dem Sie einen Vertrag abgeschlossen haben. Das Unternehmen kann über Ihren Smart Meter ablesen, wie viel Strom Sie geliefert haben, und dieser Betrag wird Ihrem Konto gutgeschrieben. Wenn Sie 100 kWh geliefert haben, stehen 100 kWh auf Ihrem Konto. Dann kommt der Zeitpunkt, an dem Sie Strom von Ihrem Anbieter beziehen müssen, beispielsweise für den eigenen Haushalt, oder die Batterie Ihres Autos an einer Ladestation mit einer Ladekarte Ihres Stromanbieters aufladen müssen. Angenommen, Sie benötigen 200 kWh, dann werden die ersten 100 kWh von Ihrem Konto abgebucht, Sie zahlen dafür nichts. Für die nächsten 100 kWh, die Sie kaufen, zahlen Sie – wie heute - den Preis aus Ihrem Vertrag mit dem Elektrizitätsunternehmen.

Natürlich fallen einige Gebühren an, die zu ihren Lasten gehen müssten; eine Verwaltungsgebühr, die das Elektrizitätsunternehmen erheben wird, das als Strombank für den von Ihnen produzierten Strom fungiert. Eine Gebühr für die Nutzung des Netzes, oder einer Ladesäule. Diese Gebühr wären in dem Vertrag festgelegt, den Sie mit Ihrem Stromanbieter haben. So, wie sie auch für Ihre Kreditkarte bei der Bank oder die Nutzung von Geldautomaten zahlen müssen

Auf diese Weise können Elektrizitätsunternehmen einerseits mit dem Preis konkurrieren, den sie für den von ihnen gelieferten Strom verlangen, und andererseits mit der Gebühr, die sie für die Teilnahme an der Strombank erheben.

Die Herausforderung besteht nun bei der anstehenden Reform des europäischen Strommarktes darin, diesen Markt so zu organisieren, dass die Kleinproduzenten nicht mehr marginal, sondern gleichberechtigt sind und über den produzierten Strom nicht nur selbst verfügen können zum Zeitpunkt der Produktion, aber auch später, wenn sie den Strom erst ins Netz eingespeist haben.

Das in diesem Artikel skizzierte Szenario einer Strombank ist eine der möglichen Optionen. Worauf warten wir also noch?

 

 

Jan Dirx und Lutz Ribbe sind Mitglieder des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

 

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