20. Europäischer Abend:

Europawahl: Spitzenpolitiker diskutieren die Zukunft der EU

69 Tage vor der Europawahl in Deutschland trafen beim 20. Europäischen Abend von dbb, Europa-Union Deutschland und dem Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement am 17. März 2014 im dbb forum berlin Spitzenvertreter von CDU, SPD, Grünen, FDP und der Partei die Linke aufeinander. Angeregt durch Impulsvorträge des Vize-Präsidenten des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), Hans-Peter Keitel, und des Gründers des europäischen Nachrichtenportals euractiv.com, Christophe Leclercq, diskutierten sie über aktuelle Fragen der europäischen Politik, wie etwa das transatlantische Freihandelsabkommen (TTIP), und über die Zukunft der Europäischen Union als Institution.

BDI-Vize Keitel stellte fest, dass die Brüsseler Politik längst im Alltag der Menschen angekommen sei und trotzdem oft als „weit weg“ empfunden werde. Dagegen zeige die aktuelle Situation in der Ukraine, welche Strahlkraft die EU immer noch auf Außenstehende ausübe. Es gelte, durch systematischen Dialog das Vertrauen der Bürger in Europa zu stärken. Insbesondere in Wirtschaftsfragen wie etwa über TTIP sei statt Oberflächlichkeit „mehr Substanz“ notwendig. Auch euractiv.com-Gründer Leclercq wünschte sich mehr Transparenz, um die Bürgerbeteiligung in der EU auszubauen. Modernere Politikprozesse könnten etwa durch die „stärkere Verknüpfung von neuen Medien mit traditionellen Systemen“ erreicht werden. Zudem stellte er kenntnisreich die wichtigsten Themen in der EU vor, die auch die nachfolgende Diskussion beherrschen sollten: Die Fragen nach einer gemeinschaftlichen Finanz- und Energiepolitik in der EU, nach ihrer (wirtschafts-)politischen Öffnung gegenüber anderen Märkten wie den USA oder Russland sowie nach der Zukunft ihres politischen Systems und einer möglichen Erweiterung.

Europa-Wahl: „This time it`s different“

In der von Harald Asel (rbb Inforadio) moderierten Diskussion stand zunächst das Wahl-Motto des Europa-Parlaments „This time it`s different“ („Dieses Mal ist es anders“) im Fokus. Es zielt darauf ab, dass diese Europa-Wahl die erste nach dem Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon ist, durch den das Parlament deutlich mehr Macht gewonnen hat. Ein Ausdruck dafür ist, dass die Staats- und Regierungschefs zum ersten Mal den Ausgang der Europawahl zu berücksichtigen haben, wenn sie den Kandidaten für das Amt des Kommissionspräsidenten bestimmen. So waren sich denn auch alle Parlamentarier weitestgehend einig, dass der zukünftige Kommissionspräsident aus den Reihen der Spitzenkandidaten der Parteien kommen müsse.

Gefragt nach ihren Vorstellungen und ihrem Motto für die Zukunft der Europäischen Union waren die Gemeinsamkeiten allerdings schnell aufgebraucht. David McAllister, Spitzenkandidat der CDU bei der Europawahl, zeigte sich überzeugt, das „Europa vor einer Richtungsentscheidung“ stehe. Grundsätzlich sei bei wichtigen Themen wie der Außenpolitik zwar mehr europäische Gemeinsamkeit wünschenswert, die Subsidiarität – kurz gesagt: der Vorrang der Problemlösungen auf der am besten geeigneten Ebene – sei jedoch zu achten. Weitere Beitritte von Staaten zur EU in den kommenden fünf Jahren könne er sich nicht vorstellen, vielmehr solle der Grundsatz „vertiefen statt erweitern“ gelten.

Birgit Sippel von der SPD machte deutlich, dass es für sie und ihre Partei wichtig sei, dass Europa wieder mehr als „Wertegemeinschaft und nicht nur als Wirtschaftsraum“ begriffen werde. Grundsätzlich seien nahezu alle Themen auch europäische Themen. Es sei lediglich fraglich, wie detailliert bestimmte Fragen auf EU-Ebene geregelt werden müssten. Für die Legitimation der EU sei letztlich entscheidend, dass sie „einen echten Mehrwert für alle Beteiligten“ biete.

Eine thematische Beschränkung der EU sieht auch Ska Keller, Spitzenkandidatin der Grünen, als nicht notwendig an. Viel wichtiger sei im Hinblick auf die Europawahl, dass tatsächlich über konkrete Themen und nicht über Europa als abstraktes Gebilde gesprochen werde. Auch in diesem Sinne sei daher ihr Motto für Europa: „Grenzen überwinden, auch in den Köpfen“. Hinsichtlich der EU-Erweiterung sei es wichtig, möglichen Kandidaten eine klare Perspektive aufzuzeigen („Wer die Kriterien erfüllt, der kommt auch rein“). Dies gelte insbesondere für die Türkei, die aus der EU immer noch widersprüchliche Signale erhalte.

Alexander Graf Lambsdorff, Spitzenkandidat der FDP, möchte Europa den Bürgern als „Kontinent der Chancen“ ins Bewusstsein bringen. Um dem gerecht zu werden, müssten aber die internen Strukturen der EU überdacht werden. Beispielsweise sei ein „Europa der zwei Geschwindigkeiten“ denkbar, in dem etwa die Länder Euro-Zone eine schnellere und engere Integration untereinander vorantreiben als die übrigen Länder. In diesem Zusammenhang machte Lambsdorff auch deutlich, dass etwa Großbritannien als Nicht-Euro-Land „kein dauerhaftes Veto in Euro-Angelegenheiten“ haben könne.

Gabriele Zimmer, Spitzenkandidatin der Partei Die Linke, bemängelte, dass es derzeit ein „Europa der Ungleichheit“ gebe, in dem es für viele Menschen um das (wirtschaftliche) Überleben ginge. Sie forderte daher mehr Solidarität innerhalb der EU: „Es geht nicht um Macht, es geht um Verantwortung füreinander“.

Auf der Agenda: TTIP und Energiepolitik

Umstritten zwischen den Abgeordneten war auch das geplante Freihandelsabkommen mit den USA (TTIP) und die europäische Energiepolitik. Für Ska Keller ist klar: „Handel ja, aber fair.“ Die derzeitigen Verhandlungen über das Abkommen seien allerdings so intransparent, dass eben diese Fairness kaum überprüfbar wäre. Hier sei ein gänzlich neues Verfahren sinnvoll. Mehr Transparenz wünschte sich auch Gabriele Zimmer. Europäische Standards in den Bereich Datenschutz, Soziales und Gesundheit müssten unbedingt erhalten bleiben. Birgit Sippel („Es geht um das Wie, nicht um das Ob“) und David McAllister („Ich sehe Chancen, aber auch offene Fragen“) befürworten das Abkommen ebenfalls grundsätzlich, mahnten aber nach Abschluss der Verhandlungen insbesonder ausreichende Zeit zur Prüfung für das Parlament an. Offensiv warb Graf Lambsdorff für TTIP. Es bringe neue Jobs, was insbesondere vor dem Hintergrund der hohen Jugendarbeitslosigkeit von großer Bedeutung sei. Allerdings sieht auch er die Notwendigkeit, „ergänzende Vereinbarungen über Verbraucher- und Datenschutz“ zu treffen.

In der Frage, wie eine europäische Energiepolitik auszusehen habe, gingen die Meinungen ebenfalls weit auseinander. Enigkeit bestand lediglich zwischen Keller und Sippel, die beide eine Förderung der erneuerbaren Energien und der Energieeffizienz durch die EU befürworten. Graf Lambsdorff möchte hingegen den Binnenmarkt auf dem Energiesektor stärken, um so mehr Wettbewerb zu ermöglichen. David McAllister sieht die Aufgabe der EU in erster Linie darin, den Netz- und Leitungsausbau zu koordinieren. Auch Zimmer sieht hier die Verantwortung für die Energiepolitik eher bei den Mitgliedsstaaten, warb aber für gemeinsame verbindliche EU-Klimaziele.

„EU ist Grundlage für friedliches Miteinander“

Der dbb Bundesvorsitzende Klaus Dauderstädt, dem als Gastgeber im dbb forum das Schlusswort zustand, versprach den EU-Politikern, dass der dbb und seine Mitgliedsgewerkschaften in den kommenden Wochen intensiv für die Europawahl werben würden. „Die EU ist die Grundlage für ein friedliches Miteinander und sie bringt Freiheit“, so der dbb-Chef. Diese Freiheit könne schnell verloren gehen. „Wer sich nicht dafür einsetzt, etwa mit der Stimmabgabe bei der Wahl, der schwächt sie“.

euractiv.com ist Medienpartner des Europäischen Abends. Die Veranstaltung wird unterstützt von der Vertretung der europäischen Kommission in Deutschland.

 

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