Podiumsdebatte

Digitale Transformation und Gleichstellung zusammendenken

„Wie sieht die Zukunft der Arbeit für Frauen nach der Corona-Krise aus?“ Diese Frage diskutierte dbb frauen Chefin Milanie Kreutz mit Abgeordneten des Bundestages. 

Den Rahmen für die digitale Podiumsdiskussion bot die Sitzung der Hauptversammlung der dbb bundesfrauenvertretung in Berlin. Den Start machte Dr. Julia Borggräfe, Abteilungsleiterin Digitalisierung und Arbeitswelt im Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS). In ihrer Keynote stellte sie aktuelle Erkenntnisse aus dem Fachkräftemonitoring zur Situation von Frauen in der digitalen Arbeitswelt vor. 

Frauen in der digitalen Arbeitswelt

„Wo Algorithmen die Arbeit ersetzen können, werden Arbeitsplätze wegfallen. Hier werden vor allem Frauen betroffen sein“, machte Borggräfe deutlich. Gleichzeitig steige aber auch der Bedarf an Fachkräften vor allem im Bereich der Pflege und in technischen Berufen. Bis 2040 würden rund 3,6 Millionen qualifizierte Fachkräfte nötig. Diesen Übergang zu gestalten, sei die große Herausforderung für die nahe Zukunft. Die Ministerialbeamtin verwiese hier auf den 3. Gleichstellungsbericht der Bundesregierung: „Es geht um Zugang, um Nutzung und Gestaltung der Digitalisierung. Diese drei Themen müssen wir gut durchstrukturieren, wenn wir den Transformationsprozess geschlechtergerecht gestalten wollen.“

Auch und gerade das Thema Diversität stelle künftig einen wichtigen Faktor bei der Gewinnung von Fachkräften dar. „Hier müssen viele Arbeitgeber noch an ihrem Image arbeiten“, machte Borggräfe deutlich. Insbesondere Führungskräfte müssten begleitet werden durch Trainings und Coachings. „Da haben wir noch Luft nach oben. Aber auch was die Konsequenz angeht. Was heißt eigentlich zu führen? Auch die Verwaltung muss hier noch stärker werden“, so Borggräfe.

Hinsichtlich der nachgefragten Kompetenzen von Beschäftigten sei eine deutliche Verschiebung zu beobachten. „Bisher weiblich konnotierte Kompetenzen wie Kommunikationsfähigkeit, Kreativität, Konfliktfähigkeit oder die Fähigkeit, Themen ganzheitlich zu betrachten, erhalten einen unglaublichen Push“, erklärte Borggräfe. Daran sollte sich auch die Bildung messen lassen: „Wenn wir Menschen wollen, die ganzheitlich denken, dann müssen wir dafür sorgen, dass die Kinder diese Fähigkeit erlernen.“ 

Wie sieht der öffentliche Dienst der Zukunft aus?

Über die Auswirkungen dieser Trends, insbesondere für den öffentlichen Dienst, diskutierte die Vorsitzende der dbb frauen Kreutz im Anschluss mit der Bundestagsabgeordneten Beate Müller-Gemmeke (Sprecherin für ArbeitnehmerInnenrechte und aktive Arbeitsmarktpolitik – Bündnis90/Die Grünen), der Europaabgeordneten Maria Noichl ( die auch Bundesvorsitzende der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen ist) sowie Nadine Schön (Stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, zuständig für die Bereiche Familie, Senioren, Frauen und Jugend sowie Digitale Agenda).

„In der Wirtschaft werden die Chancen der Digitalisierung viel besser genutzt. Damit die öffentliche Verwaltung die immer komplexeren Probleme besser anpacken kann, muss auch sie sich endlich besser vernetzen und lernen, in Teams zu arbeiten“, sagte Schön. „Mit der ‚Neustaat-Initiative‘ der Unionsparteien wollen wir dazu anregen, neue Tools und Arbeitsweisen in die Arbeit der Verwaltung einzubringen.“ Grundsätzlich müsse die Leistung der Verwaltung aber gewürdigt werden: „Die hat unser Staatswesen stabil gemacht.“ Jetzt gelte es aber, sich auf den Weg in eine neue Zeit zu machen. „Wir können den Staat nur funktionsfähig halten, wenn wir mit der Zeit gehen. Es ist die Verantwortung der Politik diese Themen anzupacken“, sagte Schön.

Maria Noichl, selbst Lehrerin, rückte beim Blick auf die Mängel der Digitalisierung im öffentlichen Dienst den Bildungsbereich in den Fokus: „Digitale Kompetenz beginnt in der Ausbildung der Lehrkräfte. Wir müssen alle Kräfte bündeln und die Lehrerinnen und Lehrer so ausbilden, dass sie junge Menschen in die Digitalisierung führen können. Denn die einen haben einen ‚Apple‘ daheim und die anderen einen leeren Küchentisch. Um Chancengleichheit für alle Kinder herzustellen, müssen die Lehrkräfte beim Thema Digitalisierung sehr viel versierter sein.“

Rechtsanspruch auf Homeoffice?

Umstritten war zwischen den Diskutantinnen ein gesetzlicher Rechtsanspruch auf Homeoffice. Ein Recht auf beispielsweise 30 Tage Homeoffice sei nicht zielführend, so Nadine Schön. „Jeder Arbeitgeber, jede Behörde ist anders und hat andere Anforderungen, die auszuhandeln sind. Dabei brauchen wir auch die Interessenvertretung durch die Gewerkschaften.“ So könne, wo immer das gehe, die Tätigkeit im Homeoffice gesetzlich unterstützt werden. „Ich würde lieber mit einem sehr experimentierfreudigen Ansatz an diese Frage herangehen. Ich finde es wichtig, dass es gute Sozialpartnerschaften gibt, weil sie aus meiner Sicht besser ist als Rechtsansprüche“, so Schön.

Dem widersprach Beate Müller-Gemmeke vehement. Die Sozialpartnerschaft funktioniere zwar im öffentlichen Dienst in der Regel gut, in der freien Wirtschaft sehe das aber zum Teil deutlich anders aus. „Ich hoffe, wir kehren auch nach der Corona-Pandemie nicht zurück zur Präsenzkultur. Eine Erkenntnis der letzten Monate ist doch, dass wir für das Homeoffice beziehungsweise mobiles Arbeiten klare Regelungen und die richtigen Rahmenbedingungen brauchen“, so die Abgeordnete. Wichtig sei der Aspekt der Freiwilligkeit, damit aus dem Recht keine Pflicht würde. Außerdem müsse es ein Rückkehrrecht an einen festen Büroarbeitsplatz geben. „Gerade Frauen sollen ja im Arbeitsleben weiterhin sichtbar sein. Nicht nur für die Karriere, sondern auch für die sozialen Kontakte, aus denen heraus ja auch Innovation entsteht.“

Das unterstützte Maria Noichl, die sagte: „Ich würde mir zweierlei wünschen: Den Rechtsanspruch auf Homeoffice und den Rechtsanspruch auf Präsenz.“ Ständig im Homeoffice zu arbeiten, behindere die Vernetzung und damit die Karrierechancen von Frauen, warnte auch die Sozialdemokratin. „Wenn Homeoffice als Sparmodell angesehen wird, dann werden wir es an die Wand fahren. Das Recht auf einen anständigen Arbeitsplatz muss jedem zustehen. Homeoffice ist ein zusätzlicher Arbeitsplatz, keine Dauerlösung.“

Corona und die Care-Berufe

„Corona hat deutlich gemacht, wie hoch Belastung in Pflege ist“, so Müller-Gemmeke. Die Arbeitsbedingungen dort müssten endlich verbessert werden, insbesondere über bessere Bezahlung und eine verbindliche Personalbemessung. „In der Pflege und in allen anderen Care-Berufen müssen die Beschäftigten das Gefühl haben, den Job auch ordentlich ausfüllen zu können. Das bedeutet, auch mehr Zeit für die Menschen zu haben. Funktioniert das nicht, nehmen Unzufriedenheit und gesundheitliche Probleme zu.“

„Gerade die Menschen in den Pflegeberufen benötigten andere Arbeits-, Urlaubs-und Freizeitregelungen, weil ihre Tätigkeit sehr viel Empathie und Kraft kostet“, unterstrich auch Noichl. Es brauche ein grundsätzlich neues Denken in der Pflege, das die Arbeit am Menschen neu bewerte. „Wir sollten anerkennen, dass diese Tätigkeit die Beschäftigten eigentlich nicht länger als sechs Stunden beanspruchen darf.“ Sie auf diese Weise zu entlasten, würde auch den zu pflegenden Menschen zugutekommen, zeigte sich die Europaabgeordnete überzeugt.

dbb frauen Chefin Kreutz hob abschließend heraus, dass die Verwaltung bei der Bewältigung der Corona-Krise unter den gegebenen Umständen „einen guten Job gemacht hat“. Die bekannten Defizite bei der Ausstattung und Infrastruktur müssten umgehend ausgeglichen werden. Aber auch die Transformation der Führungskultur müsse weiter vorangebracht werden, bewährte Konzepte für familienfreundliches und flexibles Arbeiten müssten mit Hilfe digitaler Arbeitsmittel in die Breite getragen werden. Das Thema der Vereinbarkeit in einer digitalen Arbeitswelt müsse künftig eine noch größere Rolle spielen: „Wir müssen noch härter daran arbeiten, die Lasten der Care-Tätigkeiten gleichberechtigt zu verteilen.“
 

 

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