Hearing zu Tarifeinheitsplänen

„Bündnis für Koalitionsfreiheit“: Gesetz wird scheitern

„Freie Gewerkschaften oder staatlicher Einheitszwang?“ lautete die Frage, die das „Bündnis für Koalitionsfreiheit“ bei seinem Hearing zum geplanten Tarifeinheitsgesetz der Bundesregierung am 16. April 2015 in Berlin stellte. In dem Bündnis haben sich dbb beamtenbund und tarifunion, Deutscher Journalisten-Verband, Marburger Bund und Vereinigung Cockpit zusammengeschlossen, um gegen das verfassungswidrige Vorhaben vorzugehen. „Freie Gewerkschaften werden sich keinem staatlichen Einheitszwang unterwerfen“, machte der dbb Bundesvorsitzende Klaus Dauderstädt vor den Symposiums-Teilnehmern deutlich. Selbst innerhalb der Regierungsparteien scheinen immer weniger Repräsentanten glücklich mit dem Gesetzentwurf zu sein – wie bei zahlreichen anderen Veranstaltungen zum Thema gab es auch in Berlin reichlich Kritisches aus der SPD, bei der CDU fand sich gleich gar niemand, der das Gesetz auf dem Hearing verteidigen wollte. Einzig Roland Wolf, Geschäftsführer der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), stieg als Kämpfer für die Zwangstarifeinheit in den Ring…

„Der Gesetzentwurf der Bundesregierung hätte das Licht der parlamentarischen Welt besser gar nicht erst erblickt“, sagte dbb Chef Dauderstädt zur Eröffnung der Diskussionsveranstaltung und widersprach vehement den Argumenten der Tarifeinheits-Befürworter, denen zufolge die 2010 geänderte Bundesarbeitsgerichts-Rechtsprechung eine gesetzliche Regelung erforderlich mache. „In den vergangenen fünf Jahren sind eben nicht wie Pilze hunderte von neuen Gewerkschaften in Deutschland entstanden, haben Lokführer, Piloten, Amazon-Beschäftigte, Lehrer und Erzieher der Bundesrepublik im internationalen Benchmarking der Streikfreudigkeit eben keine Spitzenstellung eingeräumt“, erläuterte Dauderstädt. Er verwies auch auf die „zahllosen Gutachten, Aufsätze und Artikel, in denen sich ausgewiesene Experten für Verfassungs-, Arbeits- und Tarifvertragsrecht angesichts der eindeutigen Grundgesetzwidrigkeiten gegen einen Eingriff in Koalitions- und weitere Grundrechte durch den Gesetzgeber ausgesprochen haben“. Auch die Tatsache, dass die ursprüngliche Geschäftsgrundlage für die Gesetzespläne, ein breiter Konsens der Sozialpartner basierend auf einem gemeinsamen Vorstoß von BDA und DGB, mittlerweile mehr als brüchig sei, sollte den Tarifeinheits-Verfechtern zu denken geben, fügte Dauderstädt hinzu: „Im DGB sind ver.di, GEW und NGG mit einer Unterschriftenaktion klar in Opposition gegangen, zum Vorschlag stehen erkennbar nur noch IG Metall und IG BCE, also nur ein Viertel der acht Mitgliedsgewerkschaften“, berichtete der dbb Bundesvorsitzende. Sein eindringlicher Appell an das Parlament: „Verehrter Bundestag, denke bitte darüber nach, wer für die heutigen Tarifstrukturen wesentlich verantwortlich ist, und fasse den Vater Staat als Arbeitgeber und Tarifpartner an der Nase, wenn er zuschaut, wie die Arbeitsbedingungen im eigenen Haus auseinanderdriften. Denn das ruiniert unsere Arbeitswelt viel schlimmer als die Rivalität zwischen uns Gewerkschaften.“

Das Video vom Symposium Tarifeinheit

Arbeitgeber halten Gesetz für „gelungen“

Verteidigt wird das Gesetz von Arbeitgeberseite. Roland Wolf, Geschäftsführer und Leiter der Abteilung Arbeits- und Tarifrecht bei der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), bezeichnete den Regierungsentwurf als „gelungenen“ und „einen wesentlichen Beitrag zur Stabilisierung der Tarifautonomie und Koalitionsfreiheit in Deutschland“, als geeignet, die Rechtssicherheit und Rechtsklarheit nach der geänderten Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes aus dem Jahr 2010 wiederherzustellen. Damals hatten die Richter den Grundsatz „Ein Betrieb – ein Tarifvertrag" gekippt. Wenn sich die Gerichtsbarkeit verweigere, Kollisionen zu lösen und die Ordnungsfunktion zu übernehmen, müsse es der Gesetzgeber selbst tun, sagte Wolf. Die von den Kritikern des Gesetzes und zahlreichen Verfassungs- und Arbeitsrechtsexperten festgestellte Verfassungswidrigkeit des Gesetzes mochte BDA-Geschäftsführer Wolf nicht erkennen, schließlich sichere das Gesetz den gewerkschaftlichen Mitbewerbern der Mehrheitsgewerkschaft Anhörungs- und Nachzeichnungsrechte zu. Damit sei das Gesetz verfassungsgemäß und greife nicht in Koalitionsfreiheit und Tarifautonomie ein, so Wolf. Das vom Gesetzentwurf postulierte Mehrheitsprinzip bezeichnete er als „Klarstellung und Verbesserung des Spezialitätsprinzips, das früher Anwendung fand“.

SPD-Juristen: Gesetz ist verfassungswidrig

Mit dieser Position stand BDA-Geschäftsführer Wolf allein beim Hearing des Koalitionsfreiheitsbündnisses: Andere Befürworter des Gesetzes aus den Bundestagsfraktionen von CDU/CSU und SPD waren von den Organisatoren zwar um eine Teilnahme an der Diskussion gebeten worden, blieben ihr aber fern. Der Einladung gefolgt war indes Harald Baumann-Hasske, Bundesvorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Juristinnen und Juristen (ASJ). Sein Urteil über den Entwurf des Tarifeinheitsgesetzes fiel ganz anders aus, als zu erwarten war: Das Gesetzesvorhaben sei eindeutig verfassungswidrig und finde auch kaum Befürworter in der eigenen Partei, teilte Baumann-Hasske dem staunenden Publikum mit: „Als wir in der ASJ den Gesetzentwurf gesehen haben, haben wir gesagt: Um Gottes Willen. Das ist verfassungswidrig!“, berichtete Baumann-Hasske, der für die SPD im sächsischen Landtag sitzt. Die ASJ tausche mit Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD), deren Ministerium den Gesetzentwurf vorgelegt hat, Argumente aus, bestätigte Baumann-Hasske, „aber Frau Nahles ist keine Juristin und erst recht keine Verfassungsjuristin.“

Grüne und Linke: „Peinliche Antworten“ der Bundesregierung

Ebenso kritisch äußerten sich die beiden Vertreterinnen der Oppositionsfraktionen im Bundestag, die zum Hearing gekommen waren. Beate Müller-Gemmecke, Sprecherin für Arbeitnehmerrechte von Bündnis 90/Die Grünen, und Jutta Krellmann, gewerkschaftspolitische Sprecherin der Linken, zeigten sich fassungslos angesichts des Agierens der Bundesregierung. „Die Antworten der Bundesregierung auf unsere Kleine Anfrage in Sachen Tarifeinheitsgesetz waren einfach nur peinlich“, berichtete Müller-Gemmecke, die von der Bundesregierung Zahlen und Fakten erfragen wollte, mit denen die Notwendigkeit eines Tarifeinheitsgesetzes belegt werden könnte. Sollte der Bundestag die Regelung mit der Mehrheit des Regierungslagers tatsächlich beschließen, wäre das „ein Armutszeugnis“ für das Parlament, so Müller-Gemmecke. „Wir müssen doch verfassungskonforme und handwerklich saubere Gesetze abliefern und können die Problemlösung nicht den Gerichten überlassen.“

Jutta Krellmann von der Linken betonte, dass nicht etwa die Gewerkschaften, sondern vielmehr die Arbeitgeber die Tarifeinheit gefährdeten, indem sie immer öfter und immer mehr Betriebsteile durch Ausgliederungen aus den Flächentarifen herauslösen und so selbst für zwangsläufige Kollisionen sorgten. „Hier bräuchten wir tatsächlich Ordnungs- und Befriedungsmaßnahmen“, forderte Krellmann und erhielt darin Unterstützung.

Journalistenverband: „Streiks müssen wehtun“

„Diejenigen, die die Zustände jetzt beklagen und eine gesetzliche Zwangstarifeinheit fordern, haben doch durch betriebliche Umorganisationen und Outsourcing erst dafür gesorgt“, dass sich die Interessen spalten, warf Kajo Döhring, Bundesgeschäftsführer des Deutschen Journalisten-Verbandes, den Arbeitgebern mit beispielhaftem Blick auf die Entwicklungen in der Medienlandschaft vor. Zugleich wies er auf die weitreichende Bedeutung des Grundrechts auf Koalitionsfreiheit hin, das sogar von den Tatbeständen der Notstandsgesetzgebung ausgenommen sei. Dies mache deutlich, so Döhring, dass an eine Einschränkung dieses verfassungsmäßigen Freiheitsrechts sehr hohe Bedingungen geknüpft seien, die das Tarifeinheitsgesetz in keiner Weise erfülle. „Streiks müssen wehtun, und das müssen wir aushalten“, so die Botschaft von Artikel 9 des Grundgesetzes.

Gesetzentwurf widerspricht Koalitionsvertrag

Der 1. Vorsitzende des Marburger Bundes, Rudolf Henke, unterstrich, dass das Tarifeinheitsgesetz bei allen verfassungsrechtlichen und technischen Unzulänglichkeiten tatsächlich keinerlei Geschäftsgrundlage mehr habe, weil die Maßgabe des Koalitionsvertrages, ein Gesetz im Konsens der Sozialpartner zu beschließen, entfallen sei. Eine Mehrheit der Gewerkschaften und ihrer Mitglieder habe sich klar gegen das Gesetz ausgesprochen. „Wer für das Gesetz stimmt, bricht also den Koalitionsvertrag“, sagte Henke, der zugleich CDU-Abgeordneter im Bundestag ist. Bereits im Jahr 2010 hatten sich die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) und der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) gemeinsam für eine Tarifeinheit ausgesprochen. „Diese Koalition zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern besteht heute aber gar nicht mehr, weil die Mehrheit der im DGB zusammengeschlossenen Gewerkschaften mittlerweile sagt, das Gesetz sei abzulehnen“, betonte Henke. Zum anderen heiße es im Koalitionsvertrag, durch flankierende Verfahrensregelungen werde verfassungsrechtlichen Belangen Rechnung getragen. Auch dies sei nicht geschehen.

VC-Chef Schulz: Gesetz gehört in den Papierkorb

Ilja Schulz, Präsident der Vereinigung Cockpit, fasste die Positionen des Bündnisses für Koalitionsfreiheit zusammen: „Der wahre Beweggrund der Gesetzesbefürworter ist schlicht der Wille, Bürgern, Politik und Arbeitgebern die lästigen Streiks vom Hals zu halten. Das ist in jeder Hinsicht verfassungswidrig, politisch verwerflich und damit vollkommen überflüssig.“ Er hoffe, so Schulz, dass spätestens das Bundesverfassungsgericht das Tarifeinheitsgesetz dahin befördern werde, wo es die Politik längst hätte hinwerfen sollen: „In den Papierkorb.“

„Brandbeschleuniger“ für Tariflandschaft

Auch Matthias Jacobs von der Bucerius Law School Hamburg widersprach den Tarifeinheitsbefürwortern vehement: „Der Gesetzentwurf ist glasklar verfassungswidrig und auch handwerklich schlecht gemacht“, stellte der Experte für Arbeitsrecht bei dem Berliner Hearing fest. Zudem gebe es gar keinen Grund dafür, ein solches Gesetz zu beschließen: „Es gibt keine Anhaltspunkte für eine nicht funktionierende Tarifau¬tonomie. Damit ist ein Eingriff in die Koalitionsfreiheit nicht gerechtfertigt. Die Arbeitskämpfe haben nicht zugenommen, seit das Bundesarbeitsgericht 2010 den Grundsatz ‚Ein Betrieb, ein Tarifvertrag‘ aufgegeben hat – Deutschland ist eines der arbeitskampfärmsten Länder der Welt“, betonte Jacobs. Größer geworden sei nur die Lautstärke, in der über die Streiks berichtet werde. Die geplanten Maßnahmen seien darüber hinaus nicht verhältnismäßig. „Durch die Einführung des betriebsbezogenen Mehrheitsprinzips wird der Kampf um die Mitglieder bei den Gewerkschaften erst richtig beginnen. Schließlich geht es dann um die Existenz der Berufsgewerkschaften“, warnte Jacobs. Der Gesetzentwurf sei insofern ein „Brandbeschleuniger“ für die Tariflandschaft.

„Riesengroße“ Probleme werde es auch bei der Ermittlung der Mehrheiten in den jeweiligen Betrieben geben: „Die Arbeitsgerichte müssen dann die Zugehörigkeit der Gewerkschaftsmitglieder für jeden Arbeitnehmer feststellen. Wie soll das praktisch funktionieren?“, wollte Jacobs wissen. Der Jurist machte auch deutlich, dass die Intention der Gesetzesbefürworter, Streiks von Spartengewerkschaften möglichst zu vermeiden, mit dem Gesetz gar nicht erfüllt werden könne: Gezählt werden könne dem Entwurf zufolge nämlich immer erst dann, wenn ein Tarifvertrag abgeschlossen sei, aufgrund dessen es dann zu einem Kollisionstatbestand komme. „Die Streiks finden aber vorher statt“, zeigte Jacobs auf und schloss: „Das Gesetz wird rechtlich und tatsächlich scheitern.“

 

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