Interview im dbb magazin

Schäuble: Föderalismus begrenzt Macht und sichert Freiheit

Deutschlands föderale Strukturen sind krisentauglich, sagt Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble im dbb magazin (6/2021) und wirbt sogar für eine Erweiterung der Länderkompetenzen.

„Ich werde nicht müde, für den Föderalismus zu werben: Föderalismus begrenzt Macht und sichert Freiheit. Er garantiert Nähe zu den Menschen und gibt ihnen gerade angesichts der Globalisierung Halt. Vor allem ermöglicht er einen Wettbewerb um die besten Lösungen. Diese Vorzüge haben sich auch in der Pandemie gezeigt. Im vergangenen Frühjahr, als sich das Infektionsgeschehen regional sehr unterschiedlich entwickelte, hat unsere föderale Ordnung ermöglicht, mit angepassten Konzepten zu reagieren. Weil die Länder unterschiedliche Wege erproben konnten, sind dort wegweisende Modellprojekte wie in Jena, Rostock oder Tübingen entwickelt worden. Davon hat am Ende ganz Deutschland profitiert“, macht Schäuble deutlich. Hinter der Klage über den angeblichen föderalen Flickenteppich stecke oft die Sehnsucht nach der einen, perfekten Lösung. Dies aber werde „unserer komplexen Welt nicht gerecht. Ebenso wenig der Vielfalt der Perspektiven und Interessen in einer freiheitlichen Gesellschaft“.

Gleichwohl teilt der Bundestagspräsident die Kritik an aktuellen Missständen, die die föderale Organisation augenscheinlich verursache, und fordert Verbesserungen. „Natürlich müssen wir Lehren aus der Corona-Bekämpfung ziehen. Offensichtlich haben wir in Deutschland Defizite bei der Digitalisierung. Es kann nicht sein, dass staatliche Hilfen an Unternehmen und Selbstständige über Wochen nicht ausgezahlt werden konnten, weil es für deren Berechnung an den erforderlichen Softwareschnittstellen zwischen Bund und Ländern gefehlt hat. Die unterschiedlichen Programme in den Gesundheitsämtern haben die Pandemiebekämpfung ebenfalls erschwert.“

Wer jedoch alle Probleme auf den Föderalismus schiebe, mache es sich zu einfach, erklärte Schäuble: „Wir sind seit längerem in einem Sicherheitsdenken gefangen. Eine exzessive Rechtsprechung hat das Handeln der Behörden stark eingeengt – das hat uns schon lange vor der Pandemie gebremst. Eine gute Verwaltung übernimmt Verantwortung, reagiert auf Anliegen der Bürger und versteht sich als Problemlöser. Dafür braucht es Ermessensspielräume – und die Bereitschaft der Angehörigen des öffentlichen Dienstes, sie auch zu nutzen. Oft werden Veränderungen erst in Krisensituationen möglich, weil der Druck dann besonders groß wird. Der Schock der Pandemie hat im letzten Frühjahr vielfach zu einer neuen Beweglichkeit geführt. Daran sollten wir uns künftig ein Beispiel nehmen. Jetzt dürfen wir nicht wieder in die alte Bedenkenträgerei zurückfallen. Eine Revolution brauchen wir nicht, mehr Pragmatismus aber schon.“

Schäuble spricht sich zudem dafür aus, „den Ländern mehr Eigenständigkeit und Verantwortung zu geben und den Wettbewerb um beste Lösungen als Chance anzunehmen. Warum sollen sie nicht einen größeren Spielraum haben, eigene Steuern zu erheben oder das Niveau von Sozialleistungen selbst zu bestimmen? Das würde die Kommunen und Länder stärken und ihr Handeln verändern. Eine solche Reform halte ich nach wie vor für richtig. Derzeit gibt es ein Wirrwarr an Kompetenzen, zu viele miteinanderverschränkte Verhandlungsarenen und eine intransparente föderale Finanzverflechtung, die falsche Anreize setzt. Wir brauchen eine Rückbesinnung auf alte bewährte Grundsätze: Wer politisch handelt, muss dafür die Verantwortung tragen.“

 

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