33. Europäischer Abend
Europawahl: dbb Chef warnt vor extremistischen Parteien
Am 9. Juni 2024 findet in Deutschland die Wahl zum Europäischen Parlament statt. Der dbb Bundesvorsitzende Ulrich Silberbach hat die Bedeutung der Abstimmung unterstrichen.
„Hierzulande wird die Europawahl oft nur als ‚Stimmungstest‘ für nationale Wahlen gesehen. Die Beteiligung ist im Vergleich auch deutlich geringer als bei der Bundestagswahl. Das wird der tatsächlichen Bedeutung des Europäischen Parlaments schon lange nicht mehr gerecht. Zumal gerade jetzt angesichts des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine und des drohenden amerikanischen Isolationismus die Freiheit in Europa in ihrer Existenz bedroht ist“, mahnte Silberbach anlässlich des 33. Europäischen Abends (Titel: „Krieg in Europa, Demokratie in Gefahr, Europa vor der Wahl“) am 9. April 2024.
Besorgt zeigte sich der dbb Chef angesichts der hohen Umfragewerte von extremistischen Parteien. „Diejenigen, die die Europäische Union in Frage stellen, erfahren Zulauf, obwohl sie teilweise nachweisbar enge Verbindungen zum russischen Aggressor aufweisen und bis heute russische Propaganda verbreiten“, sagte Silberbach und warnte: „Die Parteien, die so gerne das ‚System‘ in Frage stellen, haben keine konstruktiven Lösungen für die Herausforderungen unserer Zeit zu bieten. Deshalb ist für uns als dbb klar: Es ist keine Zeit für Protestwahlen. Es ist Zeit, die Demokratie zu verteidigen.“
Demokratie unter Druck – besonders in der Ukraine
Der Druck, dem die Demokratie weltweit ausgesetzt ist, war Thema der ersten Diskussionsrunde des Abends. Hier rückte schnell die aktuelle Situation der Ukraine und die Unterstützung durch Deutschland und die anderen EU-Staaten in den Fokus. Sophie in ’t Veld, Europaabgeordnete für Volt aus den Niederlanden, betonte angesichts des Krieges die Notwendigkeit einer europäischen Verteidigungsunion: „Seit 70 Jahren reden wir von der Verteidigungsunion. Was muss eigentlich noch passieren, bis wir das umsetzen?“ Auch Desinformation durch Russland und andere Nationen will in ’t Veld auf europäischer Ebene – etwa durch strengere Anwendung des Digital Services Acts – stärker entgegentreten. Sie urteilt: „Wir Europäer schlafwandeln. Putin hat immer angekündigt, was er macht.“
In diesem Punkt stimmte ihr Roderich Kiesewetter (CDU), Mitglied des Ausschusses für Auswärtige Angelegenheiten im Bundestag, zu: „Die russischen Absichten waren immer bekannt.“ Er warnte außerdem vor irreführenden Debatten in Deutschland über die richtige Ukraine-Unterstützung. Die Frage, ob Deutschland durch die Lieferung bestimmter Waffensysteme zur Kriegspartei werde, sei auch auf Desinformation zurückzuführen. „Ob Deutschland als Kriegspartei wahrgenommen wird, entscheidet Russland ohnehin für sich alleine“, so der Abgeordnete und stellte klar: „Es geht um mehr als Symbole oder einzelne Waffensysteme. Unser ganzes System steht hier unter Druck, es geht um unsere Freiheit.“
Für Dr. Jana Puglierin, Senior Policy Fellow beim European Council on Foreign Relations, ist die bisherige Reaktion der Europäischen Union auf den Krieg durchaus ermutigend: „Die EU hat viel geleistet. Ich war persönlich angetan, wie kohärent die EU unmittelbar nach dem Angriff reagiert hat. Natürlich ist nicht alles reibungslos gelaufen, man denke nur an Viktor Orban in Ungarn. Aber diese Geschlossenheit war verglichen mit dem Umgang mit anderen Krisen außergewöhnlich hoch.“ Sie stellte klar: „Ich möchte meine EU nicht Viktor Orban überlassen. Und ich will meine EU nicht daran messen, was sie durch Leute wie Orban nicht schafft.“
Marieluise Beck, Mitbegründerin des Zentrums Liberale Moderne, war selbst mehrfach in der Ukraine und hatte die Situation vor Ort gesehen. „Der Vorwurf, dass zu wenig auf diplomatischer Ebene getan werde, um den Krieg zu beenden ist haltlos. Es geht in diesem Krieg auch nicht nur darum, Fläche zu gewinnen oder zu verlieren, sondern darum, dass in den von Russland eroberten Gebieten heute Willkür, Repression und Zwangsrekrutierung herrschen.“ Deutschland dürfe sich nichts vormachen: Russlands Armee sei auf dem Vormarsch, langsam aber stetig. Sie sei zornig und traurig über das Verhalten der Bundesregierung, da sie vorhandene Möglichkeiten, die Ukraine zu unterstützen, nicht nütze.
Dem widersprach Michael Müller (SPD), Mitglied des Ausschusses für Auswärtige Angelegenheiten im Bundestag. Deutschland leiste bereits deutlich mehr Unterstützung als die meisten anderen Staaten. Gerade mit dem Blick auf die militärische Unterstützung gehöre aber zur Wahrheit: „Wir haben in der Vergangenheit viele Dinge bei der Ausstattung der Bundeswehr versäumt.“ Auch er finde es aber „bemerkenswert, wie einig Europa in Sachen Ukraine ist, auch bei Kritik in einzelnen Punkten. Immerhin reden wir hier nicht nur über 27 Regierungschef, sondern auch über die dahinterstehende Koalitionen. Da sind wir dann bei 80 bis 90 Parteien.“
Europawahl: Klimaschutz und Strukturreformen im Fokus
Bei der anschließenden Diskussion „Europa vor der Wahl“ betonte Hildegard Bentele (CDU/EVP), Mitglied des Europäischen Parlaments, dass unter EU-Kommissionspräsidenten Ursula von der Leyen zuletzt viel für den Klimaschutz auf den Weg gebracht worden sei. Nach der Wahl wolle sie sich nun insbesondere mit Wirtschaft und Bauern für pragmatische Lösungen einsetzen. „Ziele haben wir wirklich genug, mir geht es vor allem um die konkrete Umsetzung.“ Enttäuscht zeigte sie sich, dass die Staats- und Regierungschefs den geplanten Konvent für strukturelle Reformen der Europäischen Union nicht vorangetrieben hätten. „Eine stärkere Demokratisierung der EU ist notwendig, aber diese Chance haben wir bisher verpasst.“
Auch Sergey Lagodinsky (Grüne) möchte in seiner zweiten Legislaturperiode als Mitglied des Europäischen Parlaments den Industriestandort EU durch eine „gute und wertegeleitete Industriepolitik stärken“ und sich für eine gemeinsame europäische Klimapolitik stark machen: „Wer den Klimawandel ernst nimmt, kann den von Ursula von der Leyen angestoßenen ‚Green New Deal‘ nicht abwickeln.“ Mit Blick auf die strukturellen Reformen sagte er: „Natürlich ist es an der Zeit für einen Verfassungskonvent.“ Die europäischen Einigungsverträge an die Erfordernisse der Zeit anzupassen, sei absolut notwendig.
Anastasia Vishnevskaya-Mann (FDP) kandidiert zum ersten Mal für das Europäische Parlament, weil die größten Herausforderungen der Zeit nur auf europäischer Ebene lösbar seien. Zu einem möglichen europäischen Konvent sagte sie: „Natürlich brauchen wir ein Initiativrecht des Parlaments!“ Problematisch sieht sie außerdem das Einstimmigkeitsprinzip auf EU-Ebene und die immense Zahl der EU-Kommissare, die begrenzt werden müsse. Wichtig sei auch die Bekämpfung systematischer Falschinformation und des Einflusses von Russland und China, deren Ziel die Spaltung Europas ist.
Frederic Augustin (SPD) ist ebenfalls erstmals Kandidat für das EU-Parlament. Er zeigte sich überzeugt: „Die Idee der europäischen Kooperation gelingt nur, wenn wir den Bürgerinnen und Bürgern deutlich machen, dass diese Idee auch was nützt. Wir brauchen konkrete Lösungen für konkrete Probleme." Als Beispiele nannte er die Themen Energieversorgung, Verkehrswende, Digitalisierung und Migration. Auch Augustin warnte, gerade mit Blick auf jungen Wählerinnen und Wähler, vor Desinformation: „Es geht bei der Wahl um unsere Zukunft. Ich will die Möglichkeit haben, mich im Internet aufzuhalten, ohne links und rechts mit Desinformationen bombardiert zu werden.“