dbb jugend
Konsequenzen aus der Corona-Krise: „Jetzt muss es ums Ganze gehen“
Karoline Herrmann, Vorsitzende der dbb jugend, hat für Deutschlands öffentlichen Dienst einen Digitalisierungs- und Modernisierungsschub gefordert.
„Selbstlos, hochmotiviert und engagiert“ habe sich der öffentliche Dienst bislang in der Corona-Krise geschlagen, so die Chefin der dbb jugend im Interview mit dem „t@cker“ (Ausgabe Juni 2020). Das große „Aufräumen“ fange aber gerade erst an, sagte sie mit Blick auf die massiven konjunkturellen Einbrüche und sozialen Verwerfungen. „Außerdem hat uns die Krise schonungslos vor Augen geführt, wo unsere Defizite liegen: Personal- und Ausstattungsmangel in vielen existenziellen Bereichen der öffentlichen Daseinsvorsorge, fehlende digitale Infrastruktur, Kommunikations- und Koordinierungslücken und auch eine gewisse Wertschätzungs-Unwucht, was Standing und Bezahlung von Menschen in systemrelevanten Berufen betrifft. All das wird neben den weiteren Anstrengungen zur Eindämmung des Coronavirus zu bearbeiten sein in den nächsten Monaten und Jahren“, so Herrmann. „Jetzt muss es ums Ganze gehen. Von der Klärung der Frage, wie wir die Finanzen generationen- und geschlechtergerecht wieder auf die Reihe bekommen, wie wir mit sozialen Ungerechtigkeiten aufräumen und auch mit Blick auf Klima- und Umweltschutz nachhaltig Zukunftssicherung betreiben.“
Mit Blick auf die zunehmenden öffentlichen Proteste von Gegnern der Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie in Deutschland plädiert Herrmann für eine differenzierende Einordnung. „Ich sehe da nicht nur Leute, die an eine große Weltverschwörung glauben oder die Grundrechte für einen persönlichen Wünsch-dir-was-Katalog halten. Ich sehe auch viele, die zutiefst besorgt sind, die Angst um ihre Existenz haben, die nicht wissen, wie sie, vielleicht als Alleinerziehende, Kinderbetreuung und Arbeit unter einen Hut bringen sollen. Wir müssen die Verunsicherung vieler Menschen ernst- und wahrnehmen. Wir müssen herausfinden, wo die Ursachen dafür liegen, und Lösungswege finden.“
Bei Lösungen sei insbesondere der Staat gefragt, auf den derzeit so viele schimpften, zeigte Herrmann auf: „Seit Jahren machen die Menschen die leidvolle Erfahrung, dass der Staat nicht da ist – in Kitas und Schulen läuft's nicht rund, auf Termine beim Amt muss man mitunter Monate warten, Straßen und Brücken werden nicht gebaut, Breitband nicht verlegt, Fördergelder nicht abgerufen, weil schlicht und ergreifend das Personal für all das fehlt. Deutlich weniger Polizei und Nahverkehr in der Fläche, bei Feuerwehren und Rettungsdiensten brennt's an allen Ecken und Enden, digitale Bürgerdienste – Fehlanzeige.“ Und eben jener Staat, der in vielen Bereichen die Erwartungen seiner Bürgerinnen und Bürger nicht mehr erfülle, verordne nun rigide Maßnahmen. „Dass da nicht jeder mitgeht, ist zumindest nachvollziehbar. In Sachen Staat besteht also dringender Handlungsbedarf, wenn uns nicht alles um die Ohren fliegen soll“, mahnte Herrmann und betonte, dass es „eine funktionierende und von allen als ausgewogen und gerecht empfundene Daseinsvorsorge“ sei, die Land und Leute zusammenhalte.
Für eine konjunkturelle Erholung und nachhaltiges Wachstum sei ein stabiler, handlungsfähiger öffentlicher Dienst ebenfalls ein wesentlicher Grundpfeiler. Deswegen brauche der öffentliche Dienst einen Modernisierungsschub, so Herrmann: „Menschen, Technik und Wertschätzung. Natürlich kostet all das Geld. Aber wenn wir jetzt nicht investieren, wird uns ein kaputtgesparter, funktionsunfähiger öffentlicher Dienst weitaus mehr kosten. Alles, was wir jetzt tun oder lassen, wirkt dauerhaft in die Zukunft. Wir können jetzt eine Jahrhundertchance nutzen oder einen Jahrhundertfehler machen.“