dbb magazin 7/8 2015 - page 5

mehr machen“
zu nutzen. Wie stehen Sie als
Bundesfinanzminister zu die-
sem Vorschlag, der verblüffend
einfach klingt?
<<
Schäuble
Ich schätze den Harvard-Öko-
nom Ken Rogoff, der ja ganz
besonders für diese Idee steht.
Schon heute läuft die Mehr-
zahl der Geschäfte bargeldlos
über Bankkonten. Und daraus
leiten manche ab, man könnte
mit zentraler Datenverarbei-
tung alles leichter steuern und
besser überblicken. Ich bin of-
fen für neue technologische
Entwicklungen, die einen
Mehrwert für Verbraucher und
auch für Verwaltungen schaf-
fen. Aber wenn man das The-
ma zu Ende denkt, stößt man
an neue Fragen. Es ist ja be-
kannt, dass die Digitalisierung
von Lebensbereichen auch wie-
der etwas mit Privatheit und
Überwachung zu tun hat. Das
war in der Geschichte immer
so. Fortschritt ist nie eindimen-
sional, sondern immer Fluch
und Segen gleichermaßen. Aus
heutiger Sicht halte ich die De-
batte über die Abschaffung
von Bargeld noch für eher
theoretisch. Auch Rogoff sagt
selbst, dass es noch viele un­
gelöste Fragen – zum Beispiel
technische oder datenschutz-
rechtliche – gibt, bevor ein
Zahlungswesen ganz ohne
Münzen und Scheine möglich
wäre. Viele Menschen finden
es ja auch gut, ihr Geld anfas-
sen zu können. Die Deutschen
sind da doch eher konservativ.
Während in allen Ländern der
Eurozone der Bargeldumlauf
zugunsten von unbareren Zah-
lungsmitteln sinkt, nimmt der
Bargeldumlauf hierzulande zu.
<<
dbb magazin
Sie pochen auf Reformen in
Griechenland und treten für
einen strikten Reformkurs in
der Eurozone ein. Warum, Herr
Minister?
<<
Schäuble
Die wichtige Lehre aus der Kri-
senzeit der vergangenen Jahre
ist für mich, dass der Euro als
gemeinsame Währung – und
genauso Europa als politische
Gemeinschaft – nur funktio-
niert, wenn sich alle an die Re-
geln halten. Schauen Sie auf
die Erfolgsgeschichten von Ir-
land, Spanien, Portugal und
Zypern, die sich in den ver­
gangenen Jahren mithilfe der
Partner aber im Grunde aus
eigener Kraft reformiert ha-
ben. Das war nicht einfach für
die Menschen, so wie es nie
einfach ist, Reformen durchzu-
führen, aber es hat sich ge-
lohnt. Diese Staaten haben
wieder das Vertrauen der Fi-
nanzmärkte gewonnen, sie
haben gute Wachstumsraten
und sie sind wieder wettbe-
werbsfähig. Das ist auch die
zentrale Frage für Griechen-
land. Die Welt um uns herum
steht nicht still. Schauen Sie
nach Asien und auf die ande-
ren erfolgreichen Schwellen-
länder. Wir haben in Europa
einen Lebensstandard, um den
uns viele zu Recht beneiden.
Diesen werden wir nur halten
können, wenn wir nicht eben-
falls stillstehen, sondern uns
anpassen. Darüber müssen
sich alle klar sein, das gilt für
jedes Land in der Eurozone.
Das müssen die verantwortli-
chen Politiker den Menschen
auch so sagen. Nur so bleibt
der Euro eine stabile Währung.
<<
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Die demografische Entwick-
lung macht auch vor der Bun-
deszollverwaltung nicht halt.
Den zu erwartenden hohen
Altersabgängen der nächsten
Jahre muss vorausschauend
Rechnung getragen werden.
Gibt es entsprechende Planun-
gen und auch gezielt Anreize,
um imWettbewerb um die
besten Nachwuchskräfte in al-
len Einsatzbereichen bestehen
zu können?
<<
Schäuble
Die Arbeit der Zollverwaltung
ist in den letzten Jahren deut-
lich mehr geworden. Sie geht,
wie Sie wissen, weit über die
klassischen Aufgaben von frü-
her hinaus. Dafür muss der Zoll
qualifizierten Nachwuchs ge-
winnen. Und dafür müssen wir
die Attraktivität der Zollver-
waltung als Arbeitgeber für
junge Menschen weiter erhö-
hen. Wir haben auch schon
konkrete Schritte unternom-
men. Grundsätzlich ist der Zoll
wegen der Vielzahl seiner Tä-
tigkeiten ja eine beliebte Ver-
waltung bei jungen Menschen.
Darauf können wir aufsetzen.
Die Ausbildungskapazitäten
werden jetzt um gut ein Drittel
auf jährlich 800 Ausbildungs-
plätze immittleren und 440 im
gehobenen Dienst erhöht. In
den Auswahlverfahren für
nächstes Jahr sollen sämtliche
Hauptzollämter in der Republik
zu Einstellungs- und Ausbil-
dungsbehörden werden. Und
sie werden über den Eigen­
bedarf hinaus auch für die
künftige Generalzolldirektion
einstellen und für die Zollfahn-
dungsämter ausbilden. Interes-
sierte junge Leute können sich
dann bundesweit bewerben
und ihr bevorzugtes Haupt­
zollamt angeben. Die Bewer-
bungen sollen ganzjährig
angenommen und für das
nächstmögliche Auswahlver-
fahren berücksichtigt werden.
Daneben haben wir gerade den
Internetauftritt für alle Berei-
che der Bundesfinanzverwal-
tung überarbeitet und attrak­
tiver gemacht. Wir gehen auf
die jungen Leute zu.
<<
Dr. Wolfgang Schäuble …
… Jahrgang 1942, studierte
Rechts- und Wirtschaftswissen-
schaften an den Universitäten
Freiburg und Hamburg. Seit
1965 ist er Mitglied der CDU,
seit 1972 Mitglied des Deut-
schen Bundestages. Von 1981
bis 1984 war er Parlamentari-
scher Geschäftsführer der CDU/
CSU-Bundestagsfraktion und
von 1984 bis 1989 Bundesminis-
ter für besondere Aufgaben und
Chef des Bundeskanzleramtes.
1989 bis 1991 amtierte Schäuble als Bundesminister des Innern.
Seit 1989 ist er Mitglied des Bundesvorstandes der CDU Deutsch-
lands. Von 1991 bis 2000 übte er den Vorsitz der CDU/CSU-Frakti-
on des Deutschen Bundestages aus. Von 1998 bis 2000 war er Vor-
sitzender der CDU Deutschlands, seit 2000 ist Schäuble Mitglied
des Präsidiums. Von 2002 bis 2005 war er stellvertretender Vorsit-
zender der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag. Von No-
vember 2005 bis 2009 amtiert er als Bundesminister des Innern
und übernahm im Anschluss daran das Amt des Bundesministers
der Finanzen, das er auch in der folgenden Legislaturperiode seit
Dezember 2013 weiterhin ausübt.
Laurence Chaperon
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